Mein erstes Mal auf Fosdem (Free Open Source) Konferenz in Brüssel, von der ich schon so viel gehört hatte:
Sa, 1-Feb-2014: Nach einigen Schwierigkeiten mit Hotel- und Flugticketbuchung sowie Verspätung landet mein Flieger im Airport Brüssel. Inzwischen ist es 9:00, die Keynote (Eröffnungsansprache) werde ich mir nicht mehr life anhören können. Zum Glück habe ich schon im Flughafen Wien einige Telefmatiiker vom Grazer Linuxtag getroffen, wir teilen uns ein Taxi direkt zur Universität des Arts Libre, wo die Fosdem stattfindet.
Ich finde gleich den Raum mit dem „how we found 1 million errors in Wikipedia“ talk aber bin nicht ganz bei der Sache weil ich einen in Brüssel wohnenden Freund begrüße und letze Hotelbuchungen erledige. Auch vom nachfolgenden Talk „Software Archeology“ bekomme ich nicht allzu viel mit.
Dafür gibts kurz darauf Sandwich und mein erstes belgisches Bier (Leffe) meines Lebens in der überfüllten Uni-Cafeteria, wo Teilnehmer aller Nationen für Kaffe, Bier und Sandwiches Schlange stehen.
Auf dem Weg zum Games-Track (es gibt circa ein Dutzend Talks gleichzeigig, aufgeteilt auf mehrere Uni-Gebäude) lerne passiere werde ich schwerst in Versuchung geführt: Die Tische mit Hardware-Firmen sehen alle sehr interessant aus, aber am meisten hat es mir der Tisch von „Pandora“ angetan, einer Art open source handheld Gameboy-Linuxcomputer. Für 400 Euro (Messepreis) könnte ich einen haben !
Ich widerstehe schweren Herzens, hauptsächlich weil schon der (noch bessere) Nachfolger angekündigt ist.
Da der Games Track mit einem „We are full“ Schild gekennzeichnet ist setze ich mich ein wenig in den Wikipedia-Vortrag. Die Räume sind durchgehend überfüllt, die Luft ist schlecht, man wird schnell müde. Zurück beim Games Track hat sich für den nächsten Vortrag eine lange Schlange gebildet, und ein Organisator passt auf dass nur so viele Leute in den Sall hineinkommen wie ihn verlassen. Ich ergattere glücklich einen Sitzplatz und höre die für mich interessantesten beiden Talks der Fosdem: Drama Engine (evolutionäre Algorithmen um Hintergrundgeschichten für NPC’s zu erstellen) und ein wissenschaftliches Spiel über sich genetische Verändernde Bakterien.
Obwohl ich brennend interessiert bin spielt mein Körper nicht mehr mit: Müdigkeit, Sauerstoffmangel (und Bier?) fordern ihren Tribut und ich verlasse unglücklich den Saal. Warum sind die (für mich) interessanten Talks immer in viel zu kleinen Säälen ? Beim hinausgehen passiere ich eine sehr sehr lange Schlange von hoffnungsvoll auf Einlass Wartenenden.
Glücklicherweise wird jeder Vortrag auf Video aufgezeichnet und ist nach der Konferenz bequem per Internet konsumierbar (bei so vielen gleichzeitig stattfindenen interessanten Talks eine Notwendigkeit). Es stellt sich natürlich die Frage warum ich Zeit und Kosten aufwende um zu einer Konferenz zu fahren, wenn ich mir die Vorträge dort eh zu Hause auf Video anschaue….
Die Antwort ist: wegen der persönlichen Kontakte. Auch Nerds sind soziale Wesen und leben von Interaktion mit anderen. Die interessanten Talks sind der offizielle Vorwand auf eine derartige Konferenz zu fahren (siehe meine Berichte über Chemnitzer Linuxtag) aber wesentlich mehr Spaß machen mir eigentlich die vielen Infotische der Open-Source Projekte und -Firmen.
Ich erhole mich ein wenig von überfüllten Hörsäälen indem ich die Infotische im Hauptgebäude besuche (erst am nächsten Tag komme ich drauf dass es noch mehr Infotische im 1. Stock gibt) und lasse mir von einer Google Dame den Unterschied zwischen Google Summer of Code (Studenten werden für die Arbeit an Open Source Projekten bezahlt) und Google Code in (Schüler bekommen für die Arbeit an Open Source Projekten Sachpreise) erklären.
Beim FSFE Stand, dem heimlichen Treffpunkt vieler angereister Österreicher, spreche ich mit Josefson (?) der eine Usergropu für EU-Parlamentarier gestartet hat. Decision-Maker, die wissen worüber sie abstimmen ! Der gute Mann gehört unterstützt, ich verspreche ihm einen Artikel zu schreiben. Bis es soweit ist: Bitte fordern Sie die EU-Abgeordneten ihrer Lieblingspartei (aber vor allem die Ihres Heimatlandes) auf freie Software selbst zu benutzen (von fast allen Parteien gibt es dazu wolkige Erklärungen) und sich Jonassons Usergroup anzuschließen !
Ich checke nach längerer Straßenbahnfahr in mein Hotel ein und besuche am Abend eine Bar wo sich mehrere FSFE-Leute verabredet haben. Im Lokal sitzt neben mir ein schweigsamer Holländer, der ein Asperger Syndrom hat, nach eigenen Angaben aber kein Computergenie ist.
Ich plaudere mit Lycille (FSFE-Intern) über Empowerment von Jugendlichen und mit Sebastien (beide aus Frankreich) über die fehlenden Source Code bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Nach einem Blick auf die Restaurantrechnung bin ich schlagartig nüchtern und verziehe mich ins Hotel. Brüssel ist (zumindest in den Touristenlokalen) doch spürbar teurer als Wien. Nichtsdestotroz ein schöner Abend, ich beschließe bereits ab jetzt regelmäßig zur Fosdem zu fahren.
A propos fahren: Im Gegensatz zu Wien mit seinem „offenen“ Zugangsystem zu öffentlichen Verkehrsmitteln (keine Bezahlschranken, nur ein Fahrscheinentwerter) hat Brüssel in den Metro Stationen (wie so viele andere Städte auch) ein striktes Zugangskontrollsystem mit Schleusen. sowohl beim betreten als auch beim verlassen einer Station muss man durch eine derartige Schleuse, deren Türen sich nur durch vorweisen eines gültigen Fahrscheins öffnen. Ich wage mir nicht auszudenken was passiert wenn man in einer Schleuse seinen Fahrschein verliert oder dieser sonstwie ungültig ist: Wahrscheinlich gehen Warnsirenen an und man wird zwischen den Schleusentüren eingesperrt bis Sicherheitskräfte einen abholen (wenn das 4 Leuten gleichzeig passiert ist die ganze U-Bahn Station lahmgelegt, aber möglicherweise gibt es eine Not-Ausgangs-Funktion für Situationen wie Brände).
Mir fällt auf dass dieses System der Schleusen, Mauern, Passagier-Leitsysteme und anderer Archtiektonischer Gängelungs-systeme und Misstrauensbeweise eine Art Stein gewordene Version eines DRM (Digital Right Managements ist). Das genaue Gegenteil von Open Access – Ein Restriktionssystem, (ist man versehentlich in die falsche U-Bahn Linie gestiegen muss man teils mehrere Schleusen passieren um wieder zurück zu kommen) umständlich, unfreundliche und Angst-gesteuert:
Die Angst davor, dass ein paar Schwarzfahrer da System ohne zu zahlen benutzen überwiegt offenbar jeden Gedanken daran dass System so attraktiv wie möglich zu gestalten, um Autoverkehr zu verringern. Nichtdestotrotz gibt es auch vorbildliche Bemühungen: Statt nerviger Stationsdurchsagen wird über die Lautsprecher in den Stionen Musik gespielt, jeder Fahrscheinautomat akzeptiert Bankomartkarten sowie Münzen und ist meit einem Dreh-Drück Knopf relativ einfach zu bedienen.
Am Sonntag – nach einem Hotelfrühstück am Gemeinschaftstisch – begebe ich mich mit deutlich weniger Ballast zur Fosdem Konferenz: Der Laptop sowie Reisegepäck bleibt im Hotel, ich bin lediglich mit Smartphone (zum Fotografieren) und Mikrophon (für Interviews) sowie Visitenkarten und Namensschildchen (beides ganz wichtig) ausgerüstet. I
Rechtzeitig angekommen um eine Vielzahl interessanter Talks anzuhören kann ich mich nicht recht entscheiden wo ich hin will und mache daher den Hardware-Ausstellertischen schöne Augen. Der freundliche langhaarige Hippie beim Pandorastand nimmt sich viel Zeit mir über die Pandora zu erzählen („eine haben wir noch übrig, magst du kaufen?“) und ich schaffe es ein langes Interview mit dem (ebenfalls langhaarigem) Pandora Geschäftsführer zu machen.
Ich beschließe mich aufs Netzwerken und reden zu konzentrieren und nicht meine Zeit mit Schlange stehen vor Talks zu verbraten. Konsequenterweise ist der einzige Talk den ich besuche (the new Python Software Foundation) hochinteressant und wie genau auf mich zugeschnitten ( die Python Software Foundation hat zu viel Geld, zu wenig Mitglieder und möchte sich um den Education Bereich kümmern) aber im überfüllten, stickigem Hörsaal halte ich es nur genau einen Talk lang aus, danach flüchte ich.
Beim Gnome Infotisch bekomme ich 2 T-Shirts für 5 Euro Spende und beim Hardware Tische komme ich eher zufällig mit Dimi vom Wikipedia Infotisch ins plaudern, wodurch sich gleich ein Interview ergibt: Dimi arbeitet mittlerweile als Wikpedia Lobbyst in Brüssel und erklärt mir wie wichtig es ist bei drohenden von Konzerninteressen gesteuerten Gesetztesvorschlägen (Acta, Urheberrechtsnovelle etc) Druck auf die EU-Abgeordneten zu machen und ständig anzurufen.
Im Gegensatz zum bloßen Unterzeichnen von Petitionen (avaaz.org etc) haben massive, ständige Anrufe besorgter bzw wütender Bürger bei „ihren“ EU Abgeordneten eine große Wirkung, auch wenn der einzelne Anrufer mit einer nichtssagenden Phrase abgewimmelt wird: Die Mitarbeiter der EU-Abgeordneten werden effektiv am Arbeiten gehindert und die EU-Abgeordneten merken dass ein Thema welches sie sonst ungestört durchwinken können das heimische Stimmvieh (pardon: den Souverän) erregt, was nicht ohne Wirkung bleibt. Meine Frage, ob (die finanziell und organisatorisch sehr gut ausgestatteten) Lobbyfirmen großer Konzerne dieses Politinstrument (Anrufe besorgter Bürger) nicht „faken“ oder missbrauchen können verneint Dimi: Es geht um die Masse der Anrufer, und wenn ein Lobbybüro Hilfskräfte zum telfonieren anheuern würde die so tun als wären sie viele besorgte Bürger würde dies laut Dimis angaben sehr schnell auffliegen und großen Schaden für die Lobbyfirma verursachen.
Laut Dimi ist anrufen bei Abgeordneten (und Freunde und Bekannte dazu aufzuforden dies ebenfalls zu tun) eines der wirkungsvollsten Mittel welche der „kleine“ Bürger derzeit hat um den „großen“ Konzerninteressen entgegenzuwirken.
Während dem Wikipedia Interview mit Dimi fällt mir ein Mann mit eindrucksvollem Mikrophon und Kopfhörern auf sowie einem „Hacker Radio“ Schild:
kurze Zeit später bin ich in ein Gepräch über das Hacker Radio Projekt mit ihm vertieft. Im Gegensatz zum Namen geht es um eine Podcast-Seite, welche (englischsprachige) Podcasts sammelt und vor kurzem von der cc-by-nc auf die cc-by-sa Lizenz umgestellt hat. Wir reden über die Vernetzungs- und Verlinkungsmöglichkeiten deutschsprachiger Podcasts.
Er bringt mich auf die Idee, einen (kurzen) englischsprachigen Podcast zu verfassen in dem ich auf meinen ausführlichen deutschsprachigen Podcast ( biertaucher.at ) verweisen soll.
Es gäbe sehr viele englischsprachige Podcasts von nicht-englisch-native-speakern, und viele Amerikaner (speziell solche die Srpachen lernen oder üben wollen) interessieren sich für nicht-englische Podcasts.
Außerdem reden wir über das Transkribieren (niederschreiben) von Podcasts: Wie bei fast allen freiwilligen-Projekten fehlt dazu oft die Manpower, und jede Hilfe ist willkommen. Was Hackerradio anbietet ist Hilfe beim Proofreading (wenn jemand nicht sicher ist ob sein englisches Skript fehlerfrei genug ist) sowie Narrators: Leute die ein Skript vorlesen, z.B. weil der Autor aufgrund einer Behinderung nicht selbst sprechen kann.
Ich verspreche dem Hackerradio-Mann mich bei befreundeten EnglischlehrerInnen dafür einzusetzen als Übersetzungungshausübung eine Hackerradio-Sendung auf die Schüler zum Transkribieren aufzuteilen, und er ist hocherfreut über den Vorschlag.
Jetzt muss ich nur noch EnglsichlehrerInnen kennen lernen und mich mit Ihnen befreunden, kann ja nicht so schwer sein.
Ich mache noch das letzte Interview des Tages (FSFE). Die Schluss Keynote (NSA) werde ich mir im Internet anschauen, ich wandere todmüde ins Hotel zurück, um ein wenig Eindrücke vom Brüsseler Street-Life zu bekommen und unschuldige Passanten mit meinem Schul-Französisch zu irritieren.
Erkenntnisse:
Eine Fensterputzerin im ersten Stock hat herzlich gelacht als ich ihr „nicht runterfallen“ zugerufen habe
Eine Portion „Frites“ kostet im Uni-Gelände 4 Euro, beim türkischen Kebab-Grill 2 Euro
Man bekommt in Brüssel Frites Bolognese (Pommes mit Fleischsoße).
Die Carrefour-Supermärkte haben auch Sonntags geöffnet, ebenso kleine Zeitschriftenläden und Bäckereien.
„Quatre-vingt“ (4 x 20, also 80) heisst nicht umbedingt 80, sondern auch 4 (Euro) 20 (cent)
Autos in Brüssel haben rote Nummernschilder
Field Marschal Montgomery hat eine eigene Satue sowie U-Bahn-Station
Es ist nicht so besonders schlau in der Früh ein Hin-und Retour Ubahnticket (4 Euro anstatt 2 x 2,10 Euro) zu kaufen und dann den ganzen Rückweg zu Fuß zu laufen.
Fotos: http://www.flickr.com/photos/horstjens/sets/72157640436423455/
Podcast mit Bericht über Fosdem: http://spielend-programmieren.at/doku.php/de:podcast:biertaucher:2014:142
Lizenz (Fotos und Text): cc-by-sa
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